Die seit dem Sommer 2025 anhaltende Outperformance der Emerging Markets hat viele Investoren überrascht. Handelt es sich um ein weiteres Strohfeuer oder um den Beginn eines neuen Zyklus?
Die schwache Entwicklung der Schwellenländer in den letzten 14 Jahren ist im Wesentlichen eine Folge der Überrenditen des US-Markts gegenüber dem Rest der Welt. In diesem Zeitraum erzielten US-Unternehmen höhere Eigenkapitalrenditen, was sich in höheren Bewertungsmultiplikatoren widerspiegelte. Man könnte Ihre Frage daher auch umformulieren: „Welche Faktoren könnten den amerikanischen Exzeptionalismus beenden?“
Die Voraussetzungen für eine Trendwende sind bereits seit einiger Zeit gegeben. Die USA weisen ein erhebliches „Doppeldefizit“ (Haushalt- und Leistungsbilanzdefizit) auf. Der US-Dollar, der typischerweise langfristigen Zyklen unterliegt, wertet bereits seit einiger Zeit auf. Zudem sind internationale Investoren überdurchschnittlich stark in US-Vermögenswerten engagiert. Ein entscheidender Auslöser für einen neuen Marktzyklus könnte die Wirtschaftspolitik der derzeitigen Regierung sein, da sie zahlreiche Faktoren unterminiert, denen die USA in den vergangenen Jahren ihren Erfolg verdankt haben.
Der US-Dollar gilt normalerweise als Haupttreiber der Schwellenmärkte. Trifft das weiterhin zu oder gewinnen andere Einflussgrössen massgebend?
Der US-Dollar hat nach wie vor einen erheblichen Einfluss auf die Finanzierungsbedingungen in den Schwellenländern. Auf Sicht von zwei bis drei Jahren bleibt die Abschwächung des Dollars unser Basisszenario, obwohl nicht auszuschliessen ist, dass er nach der Talfahrt in diesem Jahr und angesichts des aktuell robusten, von KI angetriebenen US-Aktienmarkts eine kurze Verschnaufpause einlegt.
Auch die geldpolitischen Rahmenbedingungen sind attraktiv. Die US-Notenbank hat mit Zinssenkungen begonnen. Gestützt durch rückläufige Rohstoffpreise und die Aufwertung der Landeswährungen hat der Inflationsdruck in den Schwellenländern nachgelassen und die Realzinsen liegen in den Emerging Markets insgesamt im positiven Bereich. Dadurch haben dortigen Zentralbanken Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik.
Zwischen den einzelnen Schwellenländern gibt es grosse Unterschiede. Bis vor Kurzem galt China bei manchen Anlegern als „nicht investierbar“. Wie beurteilt Schroders derzeit die Attraktivität der verschiedenen Märkte?
Schroders hat China nie als „nicht investierbar“ eingestuft. Die blutleere Erholung nach Corona und die anhaltenden Verwerfungen im Immobiliensektor schaffen in Kombination mit den neusten regulatorischen Entwicklungen und den Spannungen zwischen den USA und China ein schwieriges Umfeld. In einem so grossen und dynamischen Land wie China wird es immer interessante Anlagemöglichkeiten geben.
Schroders verwendet zur Beurteilung der Attraktivität der einzelnen Emerging Markets ein proprietäres Multifaktor-Ratingmodell und ergänzt es durch eigene Einschätzungen. Aktuell sind wir in China leicht übergewichtet und bevorzugen bei unseren taktischen Allokationsentscheidungen Brasilien und Taiwan gegenüber Indien und Saudi-Arabien.